inside -Siegener Stadtmagazin-, Februar 2003

Ein Mann wie ein Buch

Otto Abt stellt eine fremde Welt vor

Asien ist weit, Gott ist gross. Wo genau liegt eigentlich Indonesien? Mein Besuch bei Otto Abt beginnt mit großem Staunen und endet mit Fragen, die mir anfangs gar nicht eingefallen wären. Der Gründer des Siegener Gamelan-Orchesters öffnet die Tür und gleich auch sein Herz. "Fühlen Sie sich wie zu Hause", sagt er. Was, wenn ich jetzt beginne, all die liebevoll arrangierten Weihnachtskarten zu lesen? 1. Lektion: Man muss dem Fremden vertrauen. Plötzlich bin ich gefangen von einer Welt, die den Christbaum mit indonesischen Statuen verbindet. 2. Lektion: Alles hängt zusammen. "Einmal Lehrer, immer Lehrer", sagt Abt. Er war gerne Pauker und bringt nach der Pensionierung immer noch gern anderen Tai Chi und Gamelanmusik bei... Er sprudelt wie ein Brunnen, wenn man ihn nach seinen Erlebnissen fragt und danach, wie er das Christliche ("Ich bin Katholik!") mit anderen Religionen mischt. Für ihn gibt es nicht die eine Religion. Esoterik-Vorwürfen begegnet er mit praktischen Übungen. Beim Tai Chi übe er den täglichen Umgang mit dem Unerklärlichen, der Verstand sei aber immer dabei. Den ersten Bezug zum Asiatischen bekam Abt als Abiturient mit der Lektüre des Lao Tse. Erste Asienreisen unternahm er Anfang der 60er, in Indonesien lernte er auch seine Frau kennen. Das Land ist islamisch geprägt, hinduistische Traditionen wie etwa das Mahabharata-Schattenspiel werden jedoch nicht unterbunden, sondern im Gegenteil, vom Staat gefördert.

Schattenspiele werden zu besonderen Festen gegeben, z.B. bei der Hochzeit oder wenn ein Kind mit ca. einem Jahr zum 1. Mal den Erdboden betritt. Bis dahin wurde es von der Mutter auf dem Rücken getragen, nun soll es buchstäblich in sein eigenes Leben gehen, mit gebotener Ehrfurcht vor der Mutter Erde. Gamelan- und Schattenspiele werden heute in der Hochschule für Kultur gelehrt, früher jedoch von Vater zu Sohn tradiert. Der Dalang/Schattenspieler wird von allen Leuten im Dorf geehrt. Er ist hoch angesehen, weil er das Mahabharata oder das Ramayana, die Geschichte zweier Liebender, mit seinen Figuren "weitererzählt".

Das Mahabharata ist ein über 2000 Jahre alter Schöpfungsmythos, dessen einzelne, überaus kompliziert verschachtelte Geschichten in Versen erzählt und in javanischer Urschrift niedergeschrieben wurden. Die kann heute kaum noch jemand lesen. Ohne je Philologie studiert zu haben, hat sich Abt daran gemacht, wenigstens einige wichtige Abenteuer des Mahabharata ins Deutsche zu übertragen. Er spricht trotz seiner Indonesien-Liebe nur gebrochenes Indonesisch. "Viel wichtiger ist es doch, in Kenntnis der Landessitten und der Meditationskunst den Geist des Textes zu vermitteln als die bloßen Worte." Das war Lektion drei.

Während der Aufführung der Mahabharata darf der Dalang seinen Platz nicht verlassen, meist die ganze Nacht nicht. Und natürlich geht das Publikum auch nicht einfach heim, obwohl es die meisten Geschichten auswendig kennt. Ein bisschen scheint es, als ob Abt heute mein Dalang sei. Das Winterlicht wird weniger, die Schatten länger, und dennoch sitze ich mit diesem wunderbaren Erzähler und lausche - und vergesse vollkommen sämtliche zurechtgelegten Fragen und auch ein Foto zu machen. Ein Bild von dem in sich ruhenden und doch vor Enthusiasmus sprühenden kleinen Herrn konnte ich mir aber machen. Die Lesung, die er am 5. Februar im Lyz gibt, wird von vier Gamelan-Spielern unterstützt werden. Otto Abt wird auf der Bühne jedoch genauso wirken wie daheim und bei allem was er vorträgt, aus seinem ureigenen Leben erzählen.

von Crauss
www.crauss.de


Siegerländer Wochenanzeiger, 05.02.2003

Ein hinduistisches Epos, erzählt für Eilige

Mit authentischen Klängen stellt heute Abend der Weidenauer Otto Abt seine Nacherzählung eines alten hinduistischen Epos vor

Im Garten der Familie Abt in Weidenau werden demnächst wieder allerhand Blumen ihre Köpfe aus der Erde strecken und ihre Pracht entfalten. "Ich freue mich an den Blumen im eigenen Garten, aber genauso sehe ich auch das, was in den anderen Gärten wächst und daran kann ich mich genauso erfreuen", sagt Otto Abt. Mit dem Spicken über den eigenen Gartenzaun beschreibt er sein Interesse an der asiatischen Kultur. Wobei er, wenn man es weiter in Blumensprache ausdrücken möchte, ein sorgfältiger Gärtner ist, dem es gelingt, Pflanzen aus fremdem Boden auch in seinem Garten Wurzeln ziehen und heimisch werden zu lassen.

Heute Lesung im Schauplatz Lyz

Bildhaft erzählt wird in den Mythen und Legenden der hinduistischen Kultur. Eines der Hauptwerke der indischen Literatur trägt den Titel Mahabharata. Darin wimmelt es von Helden, guten und bösen Menschen und Göttern, die sich verlieben, bekriegen, verraten. Sie erleben Geschichten, die voll sind von Abenteuern und Leidenschaft, in denen es um Treue und Mut, Laster und Liebe geht. Was sich anhört wie der Trailer zu einem neuen Hollywood-Film-Epos, steht im Vorwort zu jenem Buch, das Otto Abt heute Abend, 5. Februar, 20 Uhr, im Medien- und Kulturhaus Lyz vorstellen wird: seine Nacherzählung des Mahabharata. Auf knapp 190 Seiten hat er darin zusammengefasst, was im Original ein zwölfbändiges grundlegendes Werk des Hinduismus bildet. "Allein 2500 Namen kommen darin vor", erklärt er, "kreuz und quer spannen sich die Fäden der Handlung." Und kurz gesagt gehe es im Mahabharata um Liebe und Macht. "Was immer in dieser Welt vorkommt, das findet sich auch im Mahabharata, und was man darin nicht findet, das gibt es nirgendwo auf der Welt", lautet die Hollywood-ferne Werbung, mit denen dieses Epos sich im Original beschreibt.

Ein langes Epos in Kurzfassung für heute

Auf die Idee, ein solches Werk, das einen Stellenwert wie die Bibel oder der Koran einnimmt, neu zu erzählen, haben den ehemaligen Lehrer die Kinder gebracht: Vor einigen Jahren organisierte die Deutsch-Indonesische Gesellschaft, zu der Otto Abt und seine Ehefrau Tieneke gehören, in Siegen eine Ausstellung. Schattenspielfiguren zeigten darin Szenen aus dem Mahabharata. Den - oft jugendlichen - Ausstellungsbesuchern erzählte Otto Abt die Geschichten von Sentanu, der die Flußgöttin Dewi Gangga heiratet und dessen Liebe dann nicht ausreicht, sein Misstrauen zu besiegen, die Geschichten von König Pandu und von den vielen anderen großen und kleinen, erfolgreichen und gescheiterten Helden des Schattenspiel-Theaters. Und weil seine Zuhörer und er selbst Spaß an diesen Geschichten fanden, kam er auf die Idee, den Menschen von hier und heute die Geschichten aus Indien von damals zugänglich zu machen.

"Bisher waren sie das nämlich nur für Wissenschaftler und Philologen und natürlich für die Hinduisten", erklärt er. Sein Buch sei eine verkürzte und vereinfachte Fassung, eine Art Mahabharata für Eilige. Was die Geschichten erzählen, sei schließlich für die Menschen im Abendland genauso interessant, wie für die Menschen in Asien. Sein Extrakt aus den vielen, vielen Bänden, die er in deutscher, in englischer und indonesischer Fassung studiert hat, sei neu erlebend erzählt: "Jedes Kapitel im Buch bezieht sich auf eine bestimmte Stelle im Original."

Seit der Schulzeit in asiatische Kultur vertieft

Dass es ihm gelingen konnte, aus diesen fremden Geschichten eigene zu machen, hängt auch mit jenen eigenen und fremden Gärtnerarbeiten zusammen: In die Denkweise und Mentalität der hinduistischen Kultur ist Otto Abt nämlich seit seiner eigenen Schulzeit hineingewachsen. Ein Buch von Lao-tse war der Anfang und heute ist der 72-Jährige unter anderem Lehrer für Tai Chi und Marga Luyu 151. Letzteres sei eine javanische Geheimkunst. Dass er diese Elemente der asiatischen Lebenswelt kennt und beherrscht, sei ihm bei seiner Nacherzählung sehr zu gute gekommen.

Sich gegenseitig schätzen

"Das Mahabharata bestimmt noch heute die ethischen Konventionen in Indonesien", erklärt er. Was umso bemerkenswerter ist, wenn man bedenkt, dass ungefähr 90 Prozent der indonesischen Bevölkerung zur moslemischen Religion gehören. Das Indonesien, von dem Otto Abt berichtet, kann allerdings auch als ein Beispiel dafür gelten, dass Religionen sich positiv beeinflussen können. "Die Gamelan-Musik hat etwa von den islamischen Einflüssen profitiert", sagt der aktive Gamelan-Spieler. Gemeinsam mit seiner Frau Tieneke hat er das Siegener Gamelan-Orchester gegründet. Was sich hinter dieser Musik verbirgt, kann man am heutigen Abend ebenfalls hören: Die Lesung wird von vier Orchester-Mitgliedern musikalisch begleitet. Sozusagen kammermusikalisch, meint Otto Abt.

Völlig anders als die abendländische sei diese Musik: "Und ein gleichwertiger Austausch ist hier nur möglich, wenn jeder den anderen schätzt und achtet." Sein Satz zur Musik klingt fast wie eine der Überschriften, die Otto Abt den Kapiteln in seinem Mahabharata-Buch vorangestellt hat. In Worte gefasst hat er Orchesterklänge aus der Heimat seiner Frau auch in einigen seiner Gedichten und der theoretischen Einführung "Gamelan aus Java".

Seine vierte Veröffentlichung, das Mahabharata-Buch, hat er nach dem Erscheinen vor zwei Jahren im Völkerkunde-Museum in Frankfurt vorgestellt. In Siegen findet seine Lesung in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule und dem Kultur!Büro des Kreises Siegen-Wittgenstein statt.

Jetzt Romeo und Julia auf hinduistisch

Mit dem Hegen und Pflegen von Kulturplanzen unterschiedlichster Herkunft beschäftigt sich Otto Abt auch weiterhin inmitten seines Weidenauer Gartens. Mit der Nacherzählung einer weiteren hinduistischen Schrift hat er begonnen. Zögerlich, wie er sagt, aber dann wächst auch schon wieder die Begeisterung fürs Interkulturelle: "Ramayana" gelte als eine Parallelgeschichte zu Romeo und Julia. Aber es gehe hier auch um viel mehr, nämlich um die Erlösung der Welt durch Gott.


Westfalenpost, 07.02.2003

Indisches Götter- und Heldenepos

Otto Abt und das Gamelan-Orchester

von Helmut Blecher

Von Liebe und Macht erzählt die Mahabharata, das älteste Nationalepos der Inder, abgefasst in den Jahrhunderten vor und nach Christus in Sanskrit. Otto Abt, ehemals Schulrektor aus Siegen, las im Lyz (im Rahmen des Veranstaltungsprogramms der VHS Siegen und des Kulturbüros) einige Kerngeschichten aus seiner Nacherzählung dieser einzigartigen Heldensaga.

Was für die Griechen die Ilias ist und für die Germanen die Edda, das ist für Südostasien das Mahabharata.

Die indische Saga, die mit ihren rund 100000 Doppelversen zu den bedeutenden Büchern der Welt gehört, ist für Otto Abt ein schier unerschöpflicher Quell erkenntnisreicher Einsichten und Erkenntnissen.

Mit einer Grußadresse des indonesischen Konsuls und umrahmt vom Quartett des Siegener Gamelanorchesters, die mit Sarons (Glockenspiele) und Gongs meditative Klänge anstimmten, begann ein Abend, der ganz nach dem Geschmack der zahlreichen erschienenen Freunde fernöstlicher Kunst und Kultur war.

Otto Abt, ganz gelassen und entspannt -wie es sich gehörte- fächerte dann mit sonorer Stimme die Kerngeschichten der Mahabharata auf, die in Sachen Liebe, Leid, Lust, Hinterlist und Zorn die Nibelungen locker abhängen.

Bei aller Spannung, die diese Erzählungen um kluge Könige, leichtsinnige Erben und weise Männer, deren Lehren von höchstem Wert sind, ging es Otto Abt bei der Lesung aus seinem Buch, auch um die Vermittlung von sittlichen Geboten, die allgemeingültige Aussagen auch für uns Europäer beinhalten. Mit größter Aufmerksamkeit lauschte man den Geschichten, die Otto Abt fernab jeglicher Belehrung zu neuem leben erweckte.


Siegener Zeitung, 07.02.2003


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